Workshops zu Bildungserfahrungen, Übergänge und Perspektiven in binationalen Familien
Am Wochenende vom 06. bis 08. Juni 2025 kamen Familien, Fachkräfte und Engagierte mit binationalem Hintergrund in Starnberg zusammen, um sich über Bildungserfahrungen, Herausforderungen und Perspektiven auszutauschen. Im Mittelpunkt standen die individuellen Bildungsbiografien, Migrationserfahrungen und der Einfluss kultureller Unterschiede auf schulische Wege und Berufsperspektiven.
🌱 BEST – Bilde, Entwickle und Stärke dein Talent – Workshops mit Sonia Ango & Mathilda Legitimus-Schleicher – ein Raum zur persönlichen und beruflichen Entfaltung
TEIL 1 – Schulsysteme in verschiedenen Ländern – Austausch und Reflexion über die eigene Schullaufbahn der Eltern aus binationalen Familien
TEIL 2 – Empowerment durch Storytelling einer alleinerziehenden Mutter mit Migrationsbiografie. Außergewöhnliche Karrierewege in unterschiedlichen Ländern – und wie Stereotypen über Männerberufen durchbrochen wurden
TEIL 3 – Allgemeiner Austausch zum Übergang Schule-Beruf. Wünsche, Bedarfe, Anregungen an das BIPoC Wochenende
Zentrale Ergebnisse
- Schulwechsel und Mobilität als Belastungsfaktor
Viele der Teilnehmenden berichteten von zahlreichen Umzügen im Laufe der Schullaufbahn, sowohl innerhalb Deutschlands als auch über Landesgrenzen hinweg. Der ständige Wechsel von Schulsystemen stellte eine große Belastung dar – insbesondere für Kinder, die sich immer wieder auf neue Anforderungen, neue Bekanntschaften und oft auch unterschiedliche Sprachen oder Dialekte einstellen mussten. Die Eltern erleben auch einen Statusverlust – und einige Hürden, eine passende Arbeit und adäquate (bzw. „safe“) Wohnviertel und/oder Wohnumfeld zu finden.
- Bildung als kulturell geprägter Wert
In vielen Herkunftsländern der Teilnehmenden, z. B. Togo, Kenia, Tansania, Botswana, Elfenbeinküste, die Karibik und die USA, ist das Abitur und ein anschließendes Studium ein stark angestrebtes Ziel. Weil man in nur dann angesehen wird und ein ausreichendes Einkommen erzielen kann. Gleichzeitig wurde berichtet, dass es in Deutschland gesellschaftlich zunehmend anerkannt sei, auch ohne akademische Laufbahn erfolgreich zu sein. Die Botschaft „Jeder Abschluss hat einen Anschluss“ wurde positiv aufgenommen und als wichtiges Leitbild diskutiert.
- Übergänge und mangelnde Orientierung
Eltern äußerten vielfach, dass ihnen Informationen und Orientierung darüber fehlen, welche Wege ihren Kindern nach der Schule offenstehen. Einige BIPoC-Eltern bedauern, dass einige der Lehrkräfte in Klischees denken und/oder viele Vorurteilen haben, z. B. Berufswünsche ihrer Kinder nicht unterstützen, oder gleich als unrealistisch annehmen – anstatt ihnen Mut zuzusprechen. Beratungsangebote sind oft nicht bekannt oder schwer zugänglich. Besonders betont wurde der Bedarf an Unterstützungsangeboten rund um die Berufswahl – insbesondere für Jugendliche mit Zuwanderungsgeschichte oder in Übergangsklassen.
- Privatschulen als Alternative
Einige Familien fanden in Privatschulen eine gute Lösung mit mehr Empathie zu Austausch, da diese individuelle Förderung und bessere Rahmenbedingungen bieten. Dennoch bleibt diese Option nicht allen Familien zugänglich – oft aus finanziellen Gründen.
- Psychische Belastungen und Corona-Folgen
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie wurden als anhaltende Herausforderung beschrieben. Viele Kinder litten unter dem durch Schulschließungen und Isolation entstandenen Stress. Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen wurde als zentrales Thema hervorgehoben. Auch die emotionale Belastung durch Druck und ständiges „Sich-beweisen-Müssen“ wurde diskutiert – insbesondere bei Kindern mit Migrationsgeschichte, die sich häufig doppelt rechtfertigen müssen.
Bis heute sind Folgen dieser Zeiten bei Kindern und Jugendlichen spürbar, wie Lehrkräfte, Helfer*innen und Familien berichten.
- Diskriminierungserfahrungen und „Othering“
Mehrere Teilnehmende schilderten schmerzhafte Erfahrungen mit Diskriminierung, Rassismus und „Colorism“ in Bildungseinrichtungen und auch beim Sport. Es wurde mehrfach der Wunsch geäußert, dass Schulen Diversity nicht nur akzeptieren, sondern aktiv als Bereicherung fördern. Vorurteile, Stereotype Zuschreibungen und eine „Schubladendenkweise“ gegenüber BIPoC-Schüler*innen wurden als reale und belastende Phänomene benannt.
- Eltern als (ungefragte) Ressource
In vielen Bildungssystemen weltweit – etwa in Tansania, Kenia oder den USA – ist die Rolle der Eltern im Schulalltag anders definiert als in Deutschland. Häufig werden Eltern nur bei Problemen einbezogen. Einige Teilnehmende berichteten, selbst kaum oder gar keine Schulbildung erhalten zu haben – entsprechend fehlt es ihnen oft an Wissen, wie sie ihre Kinder in Deutschland unterstützen können. Gleichzeitig wurde betont, wie wichtig starke, eingebundene Eltern als Ressource für die Bildungsbiografien ihrer Kinder sind.
Ein Vorschlag, der auf viel Zustimmung stieß, war die regelmäßige Vorstellung von Berufen durch Eltern – ähnlich einem „Career Day“ wie in den USA. Solche Formate könnten helfen, berufliche Vielfalt zu zeigen, Klischees aufzubrechen und Kindern neue Vorbilder näherzubringen.
- Pädagogisch ausgebildete Elternlots*innen als Schlüsselpersonen
Elternlots*innen – ggf. mit Migrationsbiographie bzw. mit Diskriminierungs-, Rassismus- und Fluchterfahrungen – wurden als essenziell bezeichnet: Sie schaffen Brücken zwischen Schule, Elternhaus und Beratungssystemen. Besonders Familien, die mit dem deutschen Bildungssystem noch wenig vertraut sind, profitieren stark von solchen Begleitpersonen.
Erkenntnisse
Der Austausch mit den Familien in Starnberg zeigte deutlich: Bildung ist weit mehr als Schule. Sie ist Sozialisierung geprägt von Erfahrungen, Migration, sozialen Kontexten – und von individuellen Herausforderungen und Potenzialen. Vielfalt, wenn sie ernst genommen und gefördert wird, kann eine große Bereicherung für das Bildungssystem und alle Beteiligten sein. Es braucht aber gezielte Unterstützung, mehr Informationen und den aktiven Einbezug von Eltern, um allen Kindern faire Chancen zu ermöglichen.
Neben der Workshops von BEST fanden auch verschiedene Aktivitäten statt:
🎤 Rap & Poetry mit Waseem – bring deine Stimme auf die Bühne!
💇🏽♀️ Haare flechten mit Urbaine – traditionelles Wissen, praktisches Können und Austausch über Haar & Identität
💄 Make-up Empowerment mit Angela – Beauty als Ausdruck von Stärke, Selbstliebe und Spaß
Es haben ca. 20 Eltern und 40 Kinder und Jugendliche teilgenommen. Alle waren mit dem Wochenende und den Aktivitäten zufrieden.
Organisiert und geleitet wurde das Empowerment Wochenende von MORGEN e.V. mit dem Projekt BEST in Zusammenarbeit mit der Initiative UBUNTU und dem Verband binationaler Familien und Partnerschaften. Die Teilnahme an den Workshops, die Verpflegung und die vergünstigte Unterbringung wurden ermöglicht dank der finanziellen Unterstützung des Bezirksjugendring Oberbayern.
Wir bedanken uns für die gute Zusammenarbeit und freuen uns auf die nächste Gelegenheit, um mit Familien das wichtige Thema Übergang Schule-Beruf zusammen zu diskutieren.
Bericht von Sonia Ango & Mathilda Legitimus-Schleicher
Informationen zum Projekt BEST – Bilde, Entwickle und Stärke dein Talent
Das Projekt BEST wird im Rahmen des Programms „Rat geben – Ja zur Ausbildung!“ durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Europäische Union über den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF Plus) gefördert.
Lokaler Kooperationspartner und Förderer ist das Referat für Arbeit und Wirtschaft in München über sein Münchner Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramm (MBQ).