MORGEN schließt sich der Stellungnahme vom Forum der Kulturen Stuttgart.
Statt über Wohnungsnot, Wirtschaftspolitik und soziale Schieflagen, über das Gesundheitswesen, Entwicklungs- oder Klimapolitik zu debattieren, findet derzeit ein Überbietungswettbewerb statt, wer Deutschland besser abschotten, wie effektiver ausgegrenzt und abgeschoben werden kann, wie Asyl- und Aufenthaltsrechte abgebaut werden können. Dabei werden wissentlich europäische Werte, Standards und Gesetze ignoriert. Rechtspopulisten werden gestärkt und Brandmauern eingerissen, das Klima in unserer Gesellschaft wird zunehmend migrationsfeindlicher, Migration zur „Mutter aller Probleme“ hochstilisiert.
Nahrung erhielt dies durch verschiedene schreckliche Anschläge und Gewalttaten. So verständlich die Angst der Menschen und so wichtig effektive Sicherheitsmaßnahmen sind: Selbst geschlossene Grenzen und Massenabschiebungen können solche Taten nicht verhindern. Und es darf nicht sein, dass nun alle Geflüchteten, letztlich alle Migrant*innen, unter Generalverdacht gestellt werden, dass die Anschläge instrumentalisiert und zur Wahlkampfmunition werden. Unsere Sorge gilt den „Kollateralschäden“ bei denen, deren Biografie auf andere Regionen dieser Welt verweist – in Stuttgart sind dies 40% der Bevölkerung. Und was nur am Rande berichtet wird: In Folge dieser Anschläge nahmen – nicht nur in den jeweiligen Städten – Hass und Hetze, aber auch rassistische Gewalttaten gegen Migrant*innen spürbar zu, ebenso die Zahl der Brandanschläge auf Unterkünfte von Geflüchteten.
Seitens der Politik und der Medien verliert man nur wenige Gedanken darüber, was diese – immer mehr an die „Remigrationspläne“ von Potsdam erinnernden – Diskussionen bei Menschen auslösen, die eine migrantische Biografie haben. Die Angst vor Diskriminierung und rassistischen Übergriffen wächst, Gedanken an eine Ausreise sind keine Seltenheit mehr. Und auch heiß begehrte Fachkräfte werden es sich überlegen, ob sie in einem Land arbeiten möchten, das den Eindruck erweckt, es wolle keine Zuwanderung.
Dabei ist kaum vorstellbar, wie Deutschland heute aussehen würde, gäbe es keine Migran-t*innen. Die Bedeutung von Migration für Gesellschaft und Wirtschaft ist unermesslich. Migration war in der gesamten Menschheitsgeschichte ein zentrales Element gesellschaftlichen Wandels und stets auch ein wichtiger Faktor für die kulturelle Entwicklung wie auch für das wirtschaftliche Wachstum eines Landes.
Migration gilt es zu gestalten, nicht zu verhindern – dies ist unsere gemeinsame Zukunftsaufgabe. Doch statt konstruktiv an der Gestaltung von Migration zu arbeiten, werden bereits jetzt schon Mittel für Integrationsmaßnahmen und Sprachkurse gekürzt, ebenso wie Mittel zur Demokratieförderung. Der notwendige Ausbau unseres Sozialsystems, aber auch Investitionen in Entwicklungs- und Klimapolitik sind bedroht. Doch es darf nicht gerade an dem gespart werden, was erforderlich wäre, um Migration positiv und produktiv zu gestalten.
Deshalb unsere Forderung an alle wahlkämpfenden Parteien:
– Kein Wahlkampf auf dem Rücken von Migrantinnen und Migranten
– Mehr Engagement in der Integrations- und Sozialpolitik
– Keine Stärkung von Rechtspopulisten und Rechtsextremen