Offener Brief an Politik und Zivilgesellschaft: DaMigra‘s Existenz ist bedroht

Sehr geehrte Verantwortliche in Politik und Verwaltung,
mit tiefem Bedauern und großer Sorge wenden wir uns an Sie, um auf eine Krise hinzuweisen, die unmittelbare und weitreichende Folgen für die Existenz von DaMigra, unsere Standorte und vor allem für geflüchtete und migrierte Frauen in Deutschland haben wird.
Die Bundesregierung hat mitgeteilt, dass aufgrund einer vorläufigen Haushaltsführung keine neuen Projekte bewilligt werden können und das laufende Interessensbekundungsverfahren aufgehoben wird. Dies bedroht nicht nur unsere Arbeit und das Vertrauen in den gesellschaftlichen Fortschritt, den wir gemeinsam erreicht haben, sondern gefährdet unsere Existenz. Wenn nicht schnell eine Lösung gefunden wird, stehen zahlreiche Standorte von DaMigra vor dem unmittelbaren Aus.
Unsere engagierten Mitarbeiterinnen, die in den letzten zehn Jahren unverzichtbare Strukturen und Netzwerke aufgebaut haben, droht die Kündigung. Viele von ihnen sind Mütter, Alleinerziehende und selbst von prekären Arbeitsbedingungen sowie Mehrfachdiskriminierungen betroffen – trotz ihrer beeindruckenden Expertisen und Mehrsprachigkeit. Mit ihnen verlieren wir nicht nur Räume und Stimmen, sondern auch eine unverzichtbare Kraft für echte Veränderung.
Was auf dem Spiel steht
DaMigra ist mehr als ein Dachverband– wir sind die einzige migrantisch-feministische Stimme in Deutschland. Unsere Gründung basiert auf der Erkenntnis, dass migrantische Frauen in Selbstorganisationen immense ehrenamtliche Arbeit leisten, aber oft übersehen und übergangen werden. Wir vereinen vielfältige Herkunftsgeschichten, Communities und Perspektiven und sind zu einer starken Stimme für Migrantinnen in Deutschland geworden.

– Wir beraten Politik, Verwaltung und Organisationen und kommentieren Gesetzesvorhaben.
– Wir machen Mehrfachdiskriminierung sichtbar, wo sie oft ignoriert wird.
– Wir sind Gestalterinnen, Unterstützerinnen und Multiplikatorinnen mit großer Expertise.
– Wir schaffen Empowerment-Räume, damit Frauen ihre Stimmen laut und klar erheben können.
– Wir fördern Teilhabe und Gleichberechtigung, um unsere Demokratie zu stärken.
– Wir bauen Brücken, wo andere Mauern sehen.


Der Verlust dieser Strukturen wäre ein Rückschritt – nicht nur für die Frauen, die wir begleiten, sondern für die gesamte Gesellschaft
Gewalt und Antifeminismus: Ein zunehmendes Risiko
Was bedeutet ein Verlust von DaMigra für migrierte und geflüchtete Frauen, die sich mit unserer Unterstützung auf den Weg gemacht haben, Sicherheit und Teilhabe in dieser Gesellschaft zu finden? Die jüngsten Berichte über steigende häusliche Gewalt und Femizide verdeutlichen die Dringlichkeit unserer Arbeit im Bereich Gewaltschutz. Marginalisierte Frauen sind oft mehrfach betroffen – von Gewalt, Ausgrenzung und systemischer Diskriminierung.
Zugleich gefährden Antifeminismus und Rechtsextremismus grundlegende demokratische Werte und schaffen ein Klima, in dem Diskriminierung und Gewalt zunehmen. In solchen Zeiten ist unsere Arbeit unverzichtbar, um Frauenrechte und demokratische Prinzipien zu schützen.

Demokratie lebt von Teilhabe – und sie braucht mehr davon, nicht weniger!
In einer Zeit, in der antidemokratische Strömungen wachsen, ist die Förderung von Teilhabe und Empowerment marginalisierter Gruppen – insbesondere von Migrantinnen – unverzichtbar. Ihre Mitgestaltung ist ein Schlüssel zur Stabilität unserer Demokratie und Ausdruck gelebter demokratischer Werte. Erfolgreiche Projekte stärken die Zivilgesellschaft und zeigen, wie wichtig gesellschaftlicher Zusammenhalt ist.
Ein Rückzug der Förderung wäre kurzsichtig und hätte weitreichende Folgen: Er würde signalisieren, dass die Stimmen dieser Frauen nichts zählen. Das wäre ein Rückschritt und ein Bruch mit unserem Anspruch, für sozialen Frieden und Gleichberechtigung einzustehen. Wollen wir wirklich die Stimmen ignorieren, die trotz Barrieren für Stabilität und demokratische Werte kämpfen?
Finanzielle Kurzsichtigkeit führt zu langfristigen Kosten
Der Verlust unserer Projekte, Mitarbeiterinnen und Netzwerke bedeutet weit mehr als soziale Verluste – er birgt erhebliche wirtschaftliche und gesellschaftliche Risiken. Unsere Arbeit ist ein zentraler Baustein für ein solidarisches und zukunftsfähiges Miteinander. Konkret ermöglichen wir Frauen und ihren Kindern Zugang zu:

– Beratung und Schutzräumen, um häusliche, digitale und psychische Gewalt zu verhindern,
– Bildung und Weiterbildung, damit Frauen selbstbestimmt handeln können,
– Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten, um ökonomische Unabhängigkeit und soziale Teilhabe zu stärken.


Jeder heute nicht investierte Euro zahlt sich morgen in Problemen aus: erschwerte Teilhabe, soziale Isolation, eskalierende Gewaltspiralen und ungenutztes Potenzial – mit massiven Folgekosten für die Gesellschaft. Unsere Projekte sind eine Investition in Stabilität, Chancengleichheit und die Zukunft unseres sozialen und wirtschaftlichen Gefüges. Ein Verzicht darauf wäre ein teurer Fehler.
Unser dringender Appell
Wir fordern die Bundesregierung und alle zuständigen Gremien eindringlich auf, unverzüglich Lösungen zu schaffen, die die Fortführung unserer Arbeit ermöglichen – durch Übergangsfinanzierungen, Sondermittel oder beschleunigte Haushaltsverhandlungen.
Das Überleben von DaMigra – als einziger migrantisch-feministischer Organisation und Dachverband in Deutschland – darf nicht an haushaltstechnischen Hürden scheitern. Es geht um mehr als DaMigra. Es geht um die Werte, die wir als Gesellschaft vertreten: Teilhabe, Demokratie und Gleichberechtigung. Auch in Krisenzeiten darf niemand zurückgelassen werden.
Mit Nachdruck und Hoffnung,

Lourdes Martínez – Vorstandssprecherin

Dr. Delal Atmaca – Geschäftsführerin